Oberdeutsch und Schwäbisch

Obordeidsch ond Schwäbisch


Die hochschwäbische Grammatik wird oft für eine schwäbische Eigenheit gehalten. Aber ist das so? Das  Schwäbische hat, mit dem Alemannischen und Bairischen zusammen seine Wurzeln im Altoberdeutschen. Da wäre es ein Wunder, wenn nicht sehr viele Gemeinsamkeiten in diesen drei Sprachen zu finden wären. Ein Blick in die Weite, über den kleingeistigen nur schwäbischen Kirchturmhorizont hinaus, fördert Erstaunliches zutage. Schauen wir mal in die Weite!



Die schwäbische Sprache unterscheidet sich durch viele Unterschiede vom Hochdeutschen. Diese sind aber keine nur schwäbischen Eigenheiten. Sie finden sich auch genau gleich im benachbarten Bairisch-Österreichischen, im Alemannisch-Südbadisch-Schweizerischen und im Südfränkischen.

Diese Sprachen fasst man in der Germanistik als Oberdeutsch zusammen.
Es handelt sich hier um die südliche der drei Hauptgruppen des Deutschen.



Die gemeinsame altoberdeutsche Zeit (ca. 750 - 1050 n. Chr.).

Aus der Zeit, als der oberdeutsche Sprachraum noch einheitlich war (bis etwa 1000 n. Chr.) gibt es bis heute noch sehr viele Gemeinsamkeiten: Nach wie vor in der Grammatik der Substantive und im Gebrauch von vielen einsilbigen Kleinwörtern, der in allen drei oberdeutschen Sprachen gemeinsam gleich vom Hochdeutschen unterschieden ist. Eine durchgehende Gemeinsamkeit ist auch der Wegfall des unbetonten Endungs-e bei allen Arten von Wörtern (Verben, Substantive, Pronomen usw.). Diese Gemeinsamkeiten haben bis heute gut eintausend Jahre gehalten. standen.


Die Auftrennung in Ostoberdeutsch und Westoberdeutsch (um 1000 n. Chr.) 


Eine erste Auftrennung des bis dahin einheitlichen oberdeutschen Sprachgebiets erfolgte etwa um 1000 n. Chr. Das Oberdeutsche trennte sich auf in ein Ostoberdeutsch (Bairisch-Österreichisch) und in ein Westoberdeutsch (Schwäbisch-Alemannisch). Diese Auftrennung geschah entlang des Flusses Lech, dessen viele Kilometer breites Fluss- und Schotterbett damals ein sehr großes Verkehrshindernis darstellte. 

Danach entwickelten sich die beiden oberdeutschen Sprachgebiete getrennt weiter. So unterscheiden sich heutzutage das Ostoberdeutsche und das Westoberdeutsche zum Beispiel in der Bildung der Diminutive: Die ostoberdeutschen Bayern und Österreicher sagen "Haferl" (mit Endung "erl"). Die westoberdeutschen Schwaben dagegen sagen "Häfele" (mit Endung "le") und die ebenfalls westoberdeutschen Alemannen "Häfeli" (mit Endung "li").

Die Auftrennung in Alemannisch und Schwäbisch (um 1200 bis 1300 n. Chr.)

Eine zweite Auftrennung folgte in der Zeit um etwa 1200 bis 1300 n. Chr. Da trennte sich das Westoberdeutsche auf in ein Alemannisch und in ein Schwäbisch. Die Vokale und Diphthong beider Sprachen unterscheiden sich seitdem grundlegend. Die Alemannen bevorzugen die hellen i- und u-Töne, die Schwaben dagegen die dunklen e- und o-Töne, sowohl bei den Vokalen wie bei den zahlreichen Diphthongen. Das Schwäbische formte das lange u zum ou und das lange i zum ei (warf sie aber nicht wie das simplifizierende Hochdeutsche mit ai und ao zusammen). Das Schwäbische und entwickelte darüber hinaus das lange a zum dunklen  å weiter, zum Beispiel in Schåf Schaf und måla malen.


Heutiges Hochschwäbisch (ab etwa 1350 n. Chr.) 

Die schwäbische Sprache unterscheidet sich heutzutage von den anderen oberdeutschen Sprachen in der Phonetik durch seine völlig andere Aussprache, im Wortschatz durch ein eigenes Vokabular und in der Grammatik vor allem durch die Bildung völlig unterschiedlicher Verbformen.



Beispiele für wichtige gesamtoberdeutsche Gemeinsamkeiten


1. Bildung des Partizips Perfekt ohne das Augment "ge"

Weithin bekannt ist, dass das Schwäbische bei vielen Verben das Partizip Perfekt ohne das im Hochdeutschen übliche Augment "ge" bildet, also: bliiba geblieben, drädda getreten, komma gekommen, zoga gezogen usw. Diese Art der Perfektbildung ist keine schwäbische Eigenheit, sondern eine großräumige oberdeutsche Gemeinsamkeit.

Sie gilt genuin bairisch-österreichisch, genuin alemannisch-südbadisch-schweizerdeutsch, und auch genuin südfränkisch. Alle diese Sprachen bilden ihr Partizip Perfekt nach genau der gleichen Grammatik. Legendär ist der Satz des Münchener Oberbürgermeisters zum Fassanstich beim Oktoberfest: "Ozapft is!" Angezapft ist es!



2. Bildung des Konjunktivs durch das Hilfsverb "tun"

Die Verwendung des Verbs "tun" als Hilfsverb für die Bildung des Konjunktivs wird vor allem dem Schwäbischen zugeschrieben. So wird "I dääd äbbes schreiba" ich würde etwas schreiben gemeinhin  für speziell schwäbisch gehalten. Aber auch Bairisch-Österreichisch, Alemannisch und Südfränkisch gilt genuin "tun" statt "würde", darüber hinaus auch im Saarland und im südlichen Rheinland-Pfalz/Hessen, mithin in mehr als der Hälfte des deutschen Sprachraums! Der einzige Unterschied liegt darin, das sich das Schwäbische hier besonders resistent gegenüber dem zerstörenden hochdeutschen Sprachdruck zeigt, während ihm in den anderen oberdeutschen Sprachen das "ich täte" schon weitgehend zum Opfer gefallen ist.

Der europäische Blick: Das Hilfsverb "tun" ist ein gemeinsam wichtiges Erbe der germanischen Sprachen. Es hat im Oberdeutschen genauso Karriere gemacht wie im Englischen das parallele "(to) do". Nur das Hochdeutsche hat sich irrational aus dieser Gemeinschaft verabschiedet.



3. Anderes Geschlecht von Substantiven

Viele Wörter besitzen im Schwäbischen ein anderes Geschlecht wie im Hochdeutschen, z. B. der Buddor Butter, der Haeschrägg Heuschrecke, der Schogglaad Schokolade, der Zaeja Zehe, der Zwiibl Zwiebel, das Radio, das Tunnel u. v. a. m. Dieses andere Geschlecht ist vielfach eine gesamtoberdeutsche Gemeinsamkeit, gilt also nicht nur schwäbisch, sondern auch bairisch-österreichisch und alemannisch-südbadisch-schweizerisch.
Diese Geschlechtsvariationen waren das ganze Mittelalter hindurch akzeptiert. Das Mittelalter war geradezu modern und liberal, was das Gendern von Substantiv anbelangt.

Erst der Duden begann, gegenüber diesen Wörtern genderfeindlich aufzutreten und jedes dieser Wörter in eine geschlechtliche Zwangsjacke zu stecken. Wären es Personen, um die es da geht, und nicht Wörter, würde man den Duden wegen schweren Vergehens gegen die freie Wahl der geschlechtlichen Identität vor Gericht stellen.



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